Ich
sehe bei Amazon nach, wann mein Päckchen eintrifft, und lese, es wäre heute
Nacht in der letzten Lieferstation angekommen und würde bis 21 Uhr bei mir
sein. Die letzte Station ist Ramstein. Und schon beginnt der Film. Ramstein
1988. Das fürchterliche Unglück bei einer Flugshow. 28.8.88. Siebzig Tote,
tausend Verletzte. Im Gegensatz zu 9/11 kann sich vermutlich niemand mehr
erinnern, wo er zu diesem Zeitpunkt gewesen ist und wie er davon erfahren. Ich
schon.
Ich
war mit meinem leider schon verstorbenen Freund Bernulf in Holland. Wir waren
ein paar Tage am Meer. Die Erinnerungen an den Urlaub sind, aufgrund der langen
Zeit, die inzwischen vergangen ist, und unseres Drogenkonsums, leider nur sehr
bruchstückhaft. Das entsprechende Notizbuch liegt in Berlin und ist daher nicht
erreichbar. Ich weiß noch, dass es auch kleine Zeichnungen enthielt und von
Bernulf höchstselbst gelegentlich mit seinen Eindrücken ergänzt wurde. Anyway.
Am 28.
August waren wir auf dem Heimweg. Wir hielten noch in Maastricht, um uns in
einem Coffee Shop ein Piece zu kaufen, das Bernulf, ein gelernter Elektriker,
in Klarsichtfolie verpackte und im Herzen unseres Ghettoblasters versteckte.
Ich hätte mich ja nie getraut, ein elektrisches Gerät mit einem Schraubenzieher
zu öffnen, aber dieser Teufelskerl konnte sogar Schaltkreispläne lesen. So
rollten wir, gut gelaunt und stoned auf die Grenze zu, an der damals noch
streng kontrolliert wurde.
Die
Zollbeamten sahen uns, zwei abgerissene langhaarige Typen mit roten Augen und
einem dämlichen Grinsen im Gesicht, und winkten uns natürlich sofort raus. Wir
sahen schließlich aus wie Bilderbuchkiffer und Drogenschmuggler. Wir wurden in
die Zollstation gebracht, wo uns ein Beamter verhörte, während draußen unser Wagen
nach allen Regeln der Kunst durchsucht wurde. Wir stritten natürlich alles ab,
der Beamte war sichtlich genervt. „Jetzt geben Sie’s doch endlich zu! Wo haben
Sie die Drogen versteckt? Sie ersparen uns allen eine Menge Zeit und Arbeit.“
So in der Richtung beschwor er uns minutenlang.
Nach
einer halben Stunde musste ich mal aufs Klo. Ein anderer Beamter brachte mich
in eine Gefängniszelle, ließ aber die Tür offen und beobachtete mich, damit ich
keine Beweismittel verschwinden lassen konnte. Ich stand am Pissoir und öffnete
den Reißverschluss meiner Jeans. Normalerweise passiert gar nichts, wenn mir
jemand dabei zuschaut oder zu nahekommt (Phänomen Trockensteher), aber zum
Glück konnte ich mich erleichtern. Es ging zurück zum Verhör, als plötzlich ein
weiterer Beamter hereinkam. In Ramstein habe es ein schreckliches Unglück
gegeben. Alle waren geschockt. Nur wir nicht. Wir waren in unserem eigenen
Film.
Sie
ließen uns laufen und wir fuhren der Freiheit entgegen, zwei verwahrloste
Halunken in Heldenlaune. An diesem Tag war uns das Schicksal gnädig, vielen
anderen nicht.
P.S.:
Die gleiche Erfahrung machte ein alter Schulfreund, der am 11.9.2001 nach einer
Hausdurchsuchung, bei der eine nicht unbeträchtliche Menge Heroin gefunden
wurde, verhaftet und auf die Polizeiwache gebracht wurde. Das Heroin wanderte
in die Asservatenkammer, er selbst durfte gehen, nachdem die Meldung über die
eingestürzten Twin Towers die Runde gemacht hatte. Noch heute erzählt er die
Geschichte mit einem feisten Grinsen.