Am
Stammtisch gehen die Weltuntergangspropheten ja gerne all-in. Bereuet, das Ende
ist nahe. Jetzt raunen sie genüsslich vom Angriff Russlands auf den Westen, auf
die verhasste Demokratie, den leidigen Wohlstand und den grässlichen Rechtsstaat.
EU und NATO gehen endlich unter. Leider muss dazu erst einmal die Ukraine
besiegt werden und in den letzten zwei Jahren gab es keine nennenswerten
Geländegewinne durch Putins Truppen. Wir sehen jeden Tag die gleiche Landkarte.
Außerdem
stellt sich natürlich die Frage, wer die Verbündeten Russlands sein sollen. Der
lächerliche Vasallenstaat Belarus, Kim Jong-Uns Armee der hungernden Sklaven? Der
Stammtisch hofft auf China, aber Xi wird gegen Europa und Amerika keinen Krieg
führen. Warum sollte er auf seine besten Kunden schießen? Schließlich soll der
Westen noch stärker als Absatzmarkt für Chinas Exportwirtschaft dienen.
China
hat in Europa keine territorialen Interessen und hat auch keine gemeinsamen
Grenzen mit dem Westen, an denen man aufmarschieren könnte. Xis Imperium ist
eine globale Wirtschaftsmacht, die andere Möglichkeiten hat, Amerika und Europa
zu schwächen und eine stärkere Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Zwischen
China und Russland gibt es auch kein Militärbündnis oder Beistandspakt im
Kriegsfall.
Diese ökonomischen
Wellen kennen wir schon aus der Vergangenheit: In den siebziger Jahren kamen
die Japaner mit ihren Autos und Hightech-Produkten, danach die „Tigerstaaten“
Hongkong, Südkorea, Taiwan und Singapur, jetzt die Chinesen. Man muss kein
Prophet sein, um den Abstieg des „Exportweltmeisters“ Deutschland auf dem
Weltmarkt zu erkennen.
Zur
Konkurrenz kommt der demographische Wandel. Die Zahl der Rentner steigt, der
medizinische Fortschritt lässt sie länger leben. Die Kosten der
Sozialversicherungen steigen, der Bedarf an Pflegekräften nimmt auch zu. Die
Zahl der Arbeitnehmer wird abnehmen, ihre Sozialabgaben werden steigen, was zu
abnehmender Kaufkraft führt – bei gleichzeitig wachsendem Fachkräftemangel.
Auch ohne Krieg werden die Zeiten nicht leichter.
Zurück
zur Ausgangsfrage: Wird Putin den Dritten Weltkrieg wagen? Dazu muss man sich
in den Diktator hineinversetzen. Die russische Erzählung, die wir von ihm und
seinen Claqueuren im In- und Ausland seit vielen Jahren zu hören bekommen,
handelt von der großen Kränkung. Nach dem Kalten Krieg wollte man
freundschaftliche Verbindungen mit dem Westen, wurde aber nicht als
gleichberechtigte Nation behandelt, sondern wie ein geschwächter Feind. Russland
wurde schmählich betrogen, z.B. mit der EU- und NATO-Erweiterung nach Osten.
Dieser Strategiewechsel begann mit Putins inszeniertem Wutausbruch bei der
Münchner Sicherheitskonferenz 2007.
Putin
war KGB-Offizier. Er sieht die Welt durch die Brille des Geheimdienstes.
Überall lauern die Feinde, überall sieht er Gefahren und Verschwörungen. Die
Welt teilt sich für ihn auf in wenige Puppenspieler und viele Marionetten. DDR
1953, Ungarn 1956, CSSR 1968, Polen 1980, der Untergang des sozialistischen
Imperiums 1989/90 und natürlich auch die prowestlichen Proteste auf dem Maidan
2013/14 – alles vom Ausland gesteuert. Das Volk ist grundsätzlich willenlos, es
gewinnt der bessere Manipulator. „Spez-Operazija“, Spezialeinsatz bzw.
Spezialoperation, ist übrigens ein Begriff aus der Welt des KGB.
Mit
Prognosen ist es natürlich immer schwierig. Denn plötzliche Einschläge wie
9/11, Lehman Brothers, Griechenland, Corona und den Ukrainekrieg hat niemand
auf dem Zettel. Vielleicht landen morgen russische Fallschirmjäger in
Wichtelbach und besetzen das Feuerwehrhaus? Unterstützt von Huthi-Rebellen und
syrischer Infanterie?