Weihnachten ist die Zeit, in der ich jungen Menschen gerne
erzähle, wie das Fest in meiner Kindheit gewesen ist.
Am Nikolaustag ging es los. Zu uns kam nur Knecht Ruprecht.
Er holte ein Buch hervor und konnte uns Kinder sehr genau erzählen, welche
Missetaten wir das ganze Jahr über begangen hatten. Er sagte, wir wären
bösartige und wertlose Menschen, die ein schlimmes Ende nehmen würden. Dann
warf er uns ein paar Nüsse und Mandarinen an den Kopf und ging wieder.
An Heiligabend durften wir erst nach Sonnenuntergang ins
Wohnzimmer. Da wir in einer Einzimmerwohnung lebten, standen wir den ganzen
Nachmittag im Hausflur. Einen Baum gab es natürlich nicht. Meine Eltern hatten
den Garderobenständer mit Lametta und einer Taschenlampe geschmückt.
Dann machten wir Bescherung. Wir packten die Geschenke
vorsichtig aus, denn das Geschenkpapier wurde jedes Jahr wiederverwendet. Ich
hatte mir einen Lego-Bausatz gewünscht und bekam einen kleinen Beutel mit
Kieselsteinen. Meine Schwester hatte sich eine Puppe gewünscht und bekam eine
Untertasse mit Sprung, auf der ein Gesicht aufgemalt war. Meine Mutter bekam
ein Bündel Brennholz für den Ofen in der Küche, mein Vater einen Aschenbecher
mit der Aufschrift „Binding Brauerei“, der offensichtlich in einem Wirtshaus
gestohlen worden war.
Auf dem Tisch stand ein Teller mit Brotstücken in Stern-
und Halbmondform, die unsere Mutter ausgestochen hatte. Zum Abendessen gab es Kartoffelsalat
ohne Würstchen. Aber wir waren dankbar für alles – im Gegensatz zu den
verwöhnten Rotzgören von heute.